Teilweises Verbot des Versammlungsrechts kann Widerstandsrecht auslösen

Leipzig (rl), Stuttgart/28.05.2020 Der Leipziger Rechtsanwalt Ralf Ludwig, Mitbegründer der Partei Widerstand2020, fordert die deutschen Verwaltungs- und Verfassungsgerichte auf, Jahrzehnte alte Grundlagen des effektiven Rechtsschutzes und die besondere Bedeutung des Versammlungsrechts in der Corona-Krise wiederherzustellen. Sollten weiterhin Demonstrationen pauschal in den Teilnehmerzahlen begrenzt sein, könnte nach der Rechtsprechung des Bundesverfas-sungsgerichts das Widerstandsrecht greifen.

Der Rechtsanwalt unterstützt die Initiative „Kündigt Ramstein Airbase“ in Berlin und die Initiative „Querdenken 711“ in Stuttgart. Beide Initiativen möchten in Rahmen von Großdemonstrationen auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die erheblichen Beschränkungen der Grundrechte im Rahmen der Corona-Verordnungen der Bundesländer gelegt.

Sowohl in Berlin als auch in Stuttgart sind die Teilnehmerzahlen für Demonstrationen erheblich eingeschränkt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt das Demonstrationsrecht als Abwehrrecht, das auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugute, gewährleistet Art. 8 GG den Bürgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art. und Inhalt der Veranstaltung und untersagt zugleich staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fernzubleiben.

Zwar ist dieses Grundrecht einschränkbar, soweit Rechtsgüter Anderer „unmittelbar gefährdet“ sein können. Diese unmittelbare Gefährdung muss allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit realisieren und darf nicht auf andere Weise als durch ein (Teil-)Verbot verhindert werden können.

Aktuell wird diese Gefährdung in einer Ansteckungsgefahr mit dem Sars-CoV-2-Virus gesehen. Behörden und Gerichte argumentieren hierbei mit der Auffassung des Robert-Koch-Instituts (RKI), dass die allgemeine Gefährdungslage in Deutschland weiterhin hoch sei. Aufgrund dieser allgemeinen Gefährdungslage sei eine Beschränkung der Versammlungsfreiheit zulässig.

Aus Sicht des Leipziger Rechtsanwalts verstoßen die Verordnungsgeber, Versammlungsbehörden und die Gerichte mit dieser Argumentation gegen das grundgesetzlich geschützte Gebot des „effektiven Rechtsschutzes“.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat „der Bürger einen substantiellen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle“. In jedem Fall seien die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen und die Tatsachen zureichend aufzuklären.

In diesem Zusammenhang kritisiert Ludwig, dass die Gerichte die Bewertung des Robert-Koch-Instituts gerade nicht kontrollieren würden. Das Robert-Koch-Institut halte sich nicht an seine eigenen Parameter zur Risikobewertung und verbreite weiterhin die Ansicht, dass trotz erheblich gesunkener und weiterhin sinkender Fallzahlen, einer geringen Belastung der medizinischen Kapazitäten und weitgehend milder Krankheitsverläufe, eine hohe Gefahr für die Allgemeinbevölkerung bestehe.

Dieser Auffassung des Robert-Koch-Instituts tritt bereits seit Ende April das Europäische Zentrum für Prävention und Kontrolle (ECDC) entgegen. Laut Auskunft des ECDC bestehe für die Allgemeinbevölkerung in Gebieten mit niedriger Verbreitung (weniger als 100 Fälle je 100.000 Einwohner) nur noch eine geringe Gefährdungslage für die Allgemeinbevölkerung und eine moderate Gefährdungslage für Risikogruppen.

„Warum weder die Verwaltungsgerichte noch die Verfassungsgerichte diese Tatsachen nicht zur Kenntnis nehmen, ist mir nicht erklärlich“, so Ludwig. Von wirksamer gerichtlicher Kontrolle könne unter diesen Umständen keine Rede mehr sein.

Als besonders problematisch bezeichnet Ludwig die Tatsache, dass aufgrund dieses Vorgehens das Versammlungsrecht in „seinem Kern“ nicht mehr vorhanden sei. Eine Demokratie lebe davon, dass die Bürger zwischen Wahlen gerade durch Massendemonstrationen darauf aufmerksam machen können, dass sie mit der Politik der regierenden nicht einverstanden sind.

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat noch einmal eindringlich auf die Bedeutung von Großveranstaltungen hingewiesen:

„In der Geschichte der Bundesrepublik haben gerade Großdemonstrationen zur Klärung des politischen Willensbildungsprozesses

beigetragen und Auseinandersetzungen bis in die Parlamente erzwungen (wie in der Hochschulgesetzgebung, Umwelt-, Verteidigungspolitik).“

Sind Massendemonstrationen allerdings per se verboten und könne auch mit gerichtlicher Hilfe eine Großdemonstration nicht durchgesetzt werden, ist das Versammlungsrecht insgesamt entwertet, so Ludwig.

Eine zahlenmäßige Beschränkung der Teilnehmer einer Versammlung sei ein völlig neuartiger Eingriff in den Kernbereich des Versammlungsrechts. Neuartig ist vor allem, dass Exekutive und Judikative nunmehr die Auffassung vertreten, dass sie definieren könnten, unter welchen Bedingungen eine Versammlung als noch erfolgreich bzw. als ausreichend in seiner Kommunikationswirkung angesehen werden könne. Diese Auffassung stellt einen Paradigmenwechsel in Bezug auf demokratische Grundrechte dar und stellt die Art und Weise und die Massenwirksamkeit einer politischen Versammlung unter staatliche „Erfolgskontrolle“.

Bisherige Rechtsauffassung war:

„Die Versammlungsfreiheit beinhaltet nicht nur das Recht des Sich Versammelns als solches, sondern auch die im Rahmen einer Versammlung möglichen kollektiven Betätigungen und damit die Demonstrationsfreiheit.“

Laut Ludwig rufen die staatlichen Organe damit eine Situation hervor, die in einem Widerstandsrecht der Bürger münden könnte:

Auf der Webseite des Deutschen Bundestages findet sich unter der Überschrift: „Das Recht auf Widerstand zum Schutz der Verfassung“ eine Begründung für den Widerstandsfall. Es wird auf den Bonner Staatsrechtler Josef Isensee verwiesen, der sinngemäß ausgeführt hat:

„Um die Frage zu beantworten, wann denn Widerstand im Sinne des Artikel 20 gerechtfertigt ist, geben die letzten sechs Wörter Aufschluss: "..., wenn andere Abhilfe nicht möglich ist." Es geht also um den absoluten Ausnahmefall: Es müssten "alle Mittel der Normallage" versagen, um die Gefahr abzuwehren, ehe die Bürger zu den "heiklen Mitteln des Rechtsbruchs und der Gewaltsamkeit greifen", betont Isensee. Doch solange "Konflikte noch in zivilen Formen" ausgetragen werden können, das demokratische System intakt ist und solange "friedlicher Protest noch Gehör" finden kann, dürften sie es nicht.“

„Friedlicher Protest findet dann kein Gehör mehr, wenn Bürger von dieser Meinungskundgabe grundlos ausgeschlossen werden können“, so Ludwig. Einen nachvollziehbaren Grund dafür gibt es allerdings nicht. Es bestehe zum einen keine „unmittelbare Gefahr“, wie es für die Begrenzung von Versammlungen gefordert werde. Trotz mehrerer größeren Demonstrationen in Deutschland seien die Infektionszahlen bei erheblich erhöhten Testkapazitäten stark rückläufig. Zum anderen könne durch Abstandsregelungen auch die abstrakte Gefahr auf ein Minimum reduziert werden.

Würden die Versammlungsbehörden und Gerichte weiterhin Großdemonstrationen in ihren Teilnehmerzahlen beschränken, sei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurückzugreifen:

„Ein Widerstandsrecht gegen einzelne Rechtswidrigkeiten kann es nur im konservierenden Sinne geben, d.h. als Notrecht zur Bewahrung oder Wiederherstellung der Rechtsordnung. Ferner muss das mit dem Widerstande bekämpfte Unrecht offenkundig sein und müssen alle von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfe so wenig Aussicht auf wirksame Abhilfe bieten, dass die Ausübung des Widerstandes das letzte verbleibende Mittel zur Erhaltung oder Wiederherstellung des Rechtes ist.“

Rechtsanwalt Ludwig fordert in seinen Verfahren nunmehr die Gerichte auf, die Verordnungsgeber endlich zu einem klaren Fahrplan zu verpflichten, aus dem ersichtlich ist, nach welchen Parametern die Corona-Verordnungen mit ihren erheblichen Grundrechtseingriffen aufzuheben sind. In einem Rechtsstaat ist es die Aufgabe der Staatsgewalten sich gegenseitig zu kontrollieren. Dabei kommt den Gerichten die Aufgabe zu, gegebenenfalls klare Maßstäbe zu formulieren, an denen sich die Regierungsgewalt zu orientieren habe.

Sollten die Gerichte hier nicht tätig werden, und bleibt unter anderem die Versammlungsfreiheit weiterhin in ihrem Kern beschränkt, ohne Aussicht auf Abhilfe, riskieren die Gerichte den Eintritt des Widerstandsrechts im Sinne einer Wiederherstellung der verfassungsgemäßen Ordnung durch die Bürger.


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